Michael H. Kater and Albrecht Riethmüller (eds.): Music and Nazism. Art under Tyranny, 19331945. Laaber: Laaber-Verlag, 2003, 328 S. Illustrationen. Personenregister.

 

Dr. Ursula Geisler

Diese Anthologie umfaßt 16 Tagungsbeiträge einer Konferenz über „nationalsozialistische Politik und Musik“, die vom 14–17.10.1999 in Toronto stattfand. Eine einheitliche Bewertung ist nicht möglich, versammelt sie doch unterschiedlichste theoretische Ansätze und Fach- und Länderdiskurse. Inwiefern diese Publikation einen erkenntnistheoretischen Gewinn für die Erforschung der diskursiven Verbindung von „Musik“ und „Nationalsozialismus“ bietet, liegt der Rezension als Fragestellung zugrunde.

Eine erste Enttäuschung ist Michael Katers undifferenzierte und pauschalisierende Einleitung. Wäre es doch angesagt gewesen, sich mit den Beiträgen der Autorinnen und Autoren auseinanderzusetzen oder – wenn schon das nicht – mit den nicht vertretenen Inhalten, statt einer Fehde mit dem Carl-Orff-Zentrum unverhältnismäßig viel Platz einzuräumen.

Stoff genug für eine kritische Einführung gibt es. So macht es ebenso Sinn, Hans Rudolf Vagets „Hitler’s Wagner: Musical Discourse as Cultural Space“ an den Anfang zu setzen, wie den Band mit David Monods Nachkriegsperspektive „Verklärte Nacht: Denazifying Musicians under American Control“ abzuschließen. Vaget wendet neuere kultursoziologische Theorien an und operiert mit der Vorstellung kultureller Räume, die die Möglichkeit einer direkten Rezeption Wagners durch Hitler problematisiert. Monod liefert ein gelungenes Schlußwort und provoziert außerdem mit der Frage: „But is it collective guilt or the whole idea of denazification that is the more troubling?“ Neben seiner praxisnahen Beschreibung der „Entnazifizierung” (299) interessieren aus schwedischer Sicht gerade seine Bemerkungen über den Sänger Gerhard Hüsch, der nach dem Krieg als einer weniger nicht rehabilitiert wurde, dessen Konzerte in Schweden (1934/36/37/38/39) also kritisch beachtet werden sollten. Bernd Sponheuers Übersicht „The National Socialist Discussion on the ‚German Quality’ in Music“ verdeutlicht einmal mehr, daß „deutsche Musik“ keine Substanz-, sondern eine Funktionsterminologie ist. Erhellend wäre ein Vergleich mit dem nationalsozialistischen Diskurs über „nordische Musik“ gewesen, da sich diese aus rassetheoretischen Vorstellungen abgeleitete Konstruktion in Anlehnung an den Diskurs über „deutsche Musik“ konstituierte. Reinhold Brinckmann bettet in seiner Analyse „The Distorted Sublime: Music and National Socialist Ideology – A Scetch“ das „Erhabene“ in einen größeren zeitlichen Kontext ein, bringt entwicklungsgeschichtliche Beispiele und überzeugt in der Begründung der These, daß die nationalsozialistische Sinfonie nie komponiert wurde. Außerdem verweist er auf die Sakralisierung von Musik und liefert eine anschauliche Musikanalyse zweier Heldenrequien und einer Kantate (Notenbeispiele). Giselher Schuberts „The Aesthetic Premises of a Nazi Conception of Music“ könnte als opponierend zu dieser musikanalytischen Methode verstanden werden, stellt Schubert doch die Inhärenz der Musikbedeutung in Frage, anderseits formuliert er jedoch die “Rassenpolitik” als genau diese Substanz (65). Jens Malte Fischer setzt sich in “The Very German Fate of a Composer: Hans Pfitzner” mit Fragen der Funktionalisierung von Musik und Komponisten auseinander. Fischers Begründung der Behauptung, dass Pfitzners Musik, obwohl der Komponist deutschnational eingestellt war, weniger als diejenige Beethovens, Bruckners oder Wagners nationalsozialistisch funktionalisiert wurde (87), hätte noch differenziert werden können. Schließlich bildete gerade der Tot dieser Komponisten die Möglichkeit der Historisierung sowie der Neubewertung ihrer musikalischen Hinterlassenschaft (vgl. Heldt). Pamela M. Potter begibt sich in ihrem Beitrag „Musical Life in Berlin from Weimar to Hitler“ diesmal auf eine schwierige argumentative Gratwanderung, wenn sie abschließend versucht, die damalige Akzeptanz einer „Volksgemeinschaft“ durch die Bevölkerung mit deren Weimar-Erfahrungen nachvollziehbar zu machen (99f.). Ein geschichtslinearer Ansatz wirkt hinsichtlich dieses Begriffes hier eher komplexitätsreduzierend als diskursaufarbeitend. Joan Evans’ empirische Studie über „The Internationales Zeitgenössisches Musikfest in Baden-Baden, 1936-1939“ verzeichnet im Anhang die Konzerte der nordeuropäischen Komponisten Atterberg, Kilpinen, Larsson, Riisager und Sæverud. Die verstärkte internationale Beteiligung nach 1936 führt sie auf einen „simplified [musical] style and the emphasis on folk-music elements“ (108) des Musikfests zurück. An Guido Heldts Beitrag „Hardly Heroes: Composers as a Subject in National Socialist Cinema“ läßt sich am besten verdeutlichen, was in der Anthologie thematisch unterrepräsentiert ist.

Dazu gehört besonders der Bereich der Vergemeinschaftung durch aktives Singen – in der Schule, der Hitler-Jugend, der Öffentlichkeit (Sängerbund etc.), wie auch die Auseinandersetzung mit dem Volks-Begriff. Celia Applegate nähert sich in „The Past and the Present of Hausmusik in the Third Reich“ dieser Problematik. So zeigt sie die Verbindungen von „Liedertafel“, „Hausmusik“ und „Amateurmusik“ auf und verweist auf die im 19. Jahrhundert begründeten Konnotationen, die im Nationalsozialismus aufgegriffen wurden.

Außerdem hätte der Anthologie eine Perspektivenverschiebung von Produktion nach Rezeption gut zu Gesicht gestanden. Auch die nationalsozialistischen musikalischen Auslandsverbindungen und pangermanistischen Großmachtsphantasien werden mit Österreich und der Schweiz nur am Rande gestreift.

So liefert Theo Mäusli mit der Problematisierung des Begriffes Geistige Landesverteidigung in „The Swiss Music Scene in the 1930s: A Mirror of European Conditions?“ einen auch auf schwedische Verhältnisse zum Teil adaptierbaren Beitrag. Seine These „in contrast to linguistic text, music is a particularly suitable indicator of mentalities across linguistic barriers“ (259) eröffnet zumindest eine über Länder- und Sprachgrenzen hinausweisende Perspektive, wie seine anschließende Diskursübersicht über Musik und Funktion (260) außerdem Fragen nach der emotionalen Dimension von Massenveranstaltungen zuläßt. Albrecht Riethmüllers quellenfixierte Studie über „Stefan Zweig and the Fall of the Reich Music Chamber President, Richard Strauss“ hätte von einer zeithistorischen Kontextualisierung profitiert. Als Studie über nationalsozialistisch beeinflußte und geförderte Institutionen bietet Stephen McClatchies „Wagner Research as ‚Service to the People’: The Richard-Wagner-Forschungsstätte [RWF], 1938-1945“ einen gründungs- und entwicklungsgeschichtlichen Überblick über die RWF. Deren Leiter Otto Strobel und dessen Versuche, seinen wissenschaftlichen Anspruch institutionell zu verankern, stehen dabei im Mittelpunkt. Vergleichbar personalisierende Ansätze finden sich in Kim H. Kowalkes „Music Publishing and the Nazis: Schott, Universal Edition, and Their Composers“ und in Austin Clarksons „Stefan Wolpe: Broken Sequences“. Ersterer fällt mit knapp 50 Seiten (inkl. 11 Bildseiten) unverhältnismäßig lang aus, wobei nur die Zusammenfassung über die Briefwechsel mit den Verlegern Strecker und Schlee hinaus den Begriff der musikalischen „Modernität“ bei Webern, Schönberg und Weill ansatzweise problematisiert. Clarksons Argumentation aus der Perspektive des Komponisten Wolpe dagegen ist zu individualpsychologisch angelegt, als dass eine Wechselwirkung von Wolpes Kompositionen und nationalsozialistischer Musikauffassung überhaupt erkennbar wird. Claudia Maurer Zencks Beitrag „’In Which Camp is Austria?’ The Fight against the Destruction of the New Music“ ist mit der Darstellung internationaler Musikgesellschaften, Zeitschriftendiskurse und Komponisten der „Wiener Schule“ fast enzyklopädisch nutzbar. Gleichzeitig wird hier „Neue Musik“ gewinnbringend in ihrem diskursiven Verhältnis zu nationalsozialistischer Musiktheorie und –praxis untersucht.

Alles in allem eine Anthologie, die in Detailfragen durchaus aktuellste Forschungsergebnisse vorweisen kann, aber von einer annähernd vollständigen Forschungsübersicht zur Thematik „Musik und Nationalsozialismus“ weit entfernt ist, und auch nicht mit den in Monographien vorgelegten Forschungsergebnissen der Autorinnen und Autoren mithalten kann (z.B. Pamela M. Potter: Most German of the Arts: Musicology and Society from Weimar Republic to the End of Hitler’s Reich. New Haven: Yale University Press, 1998).